Arbeiten Texte Vita Kontakt Links








Malerei

Installation

Zeichnungen

Multiples


Texte

Zu wahr, um (nur) schön zu sein

Roland Nachtigäller

 

Wer glaubt noch einem Bild? Wir wissen von den haarsträubenden Retuschen der stalinistischen Polit-Propaganda, wir kennen die Geschichten um gefälschte Fotos der CIA, wir haben mit Begeisterung verfolgt, wie »Forrest Gump« (1994) durch die historischen Momente der amerikanischen Politik stolperte oder Woody Allens chamäleonhafter »Zelig« (1983) mit Legenden wie Josephine Baker oder Al Capone zusammentraf und Adolf Hitler die Hand reichte; wir kennen die manipulativen Möglichkeiten des graphischen und textlichen Umfelds eines Bildes, die verführerischen Akzentverschiebungen durch Ausschnitt, Kontrastierung, Gegenüberstellung und Kombination, während die Verzerrung, Montage und Farbkorrektur der eigenen Hobbyfotos am PC mittels Programmen wie »Photoshop« oder »Kai’s PowerGoo« mittlerweile zum weithin beliebten Freizeitspaß geworden ist. Niemand glaubt dem Bild!

Trotzdem wird noch jeden Morgen die tägliche Zeitungsausgabe vom prominent gesetzten Titelfoto bestimmt, eben jenes Beweisbild, das die Katastrophe zeigt, den Politiker am Ort des Zusammentreffens, die Preisübergabe im Veranstaltungssaal oder die Leiche in ihrer Blutlache. Die Nachricht wird erst zur Gewißheit, wenn die ersten Bilder eintreffen und scheinbar unmißverständlich belegen, daß es tatsächlich so geschehen ist. Und selten zuvor wurde die Macht des Bildes in den Medien schlagender deutlich als in den Tagen nach dem 11. September 2001. Das Unfaßbare dieses spektakulären wie aufwühlenden Ereignisses versuchte zuerst das Fernsehen greifbar, begreifbar zu machen, indem die getroffenen und später einstürzenden »Twin Towers« als permanenter Hintergrund-Loop für die verschiedenen Berichterstatter dienten. Nahezu jede Tageszeitung am nächsten Morgen titelte mit einem riesigen Farbfoto der aufschlagenden Flugzeuge oder der rauchenden Gebäude. In ihrer repetitiven Stoik kippte die Authentizität der Bilder ins Ornament und wurde doch gerade erst dadurch zur unumstößlichen Gewißheit einer aus den Fugen geratenen politischen, gesellschaftlichen Realität. Alle glauben den Bildern!

In einer visuellen Kulturtradition, die in der abendländischen Geschichte mit der Durchsetzung eines rationalistischen, mechanistischen Denkens ihre entscheidenden Impulse erfährt, besitzt das Bild stets mehr Glaubwürdigkeit als das Wort, sei es das gesprochene oder das geschriebene. Nicht menschliches Zeugnis, authentische Zeugenschaft, sondern bildliche Belege, Filme, Fotos, ja selbst Zeichnungen (man denke nur an die Gerichtszeichner oder die Zeichnungen von archäologischen Funden) stellen die letzte Instanz der Glaubwürdigkeit dar und sind noch immer in der Lage, jegliches Wissen um die Manipulierbarkeit der Bilder in den Hintergrund zu drängen. Es ist die alte Geschichte des Apostels Thomas, der erst glaubt, wenn er mit eigenen Augen sieht, eine Geschiche, die sich in einer – vor allem medial – immer komplexer werdenden Welt in der Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Verbindlichkeit weiter fortschreibt. Man will klare, unmißverständliche Informationen (»Fakten, Fakten, Fakten«), die keine Frage offenlassen und deren noch verbleibender Interpretationsbedarf möglichst weitgehend vom flankierenden Untertitel gedeckt wird. Hier ist das Wort der Erfüllungsgehilfe des Bildes, und gemeinsam gehen sie eine unverbrüchliche Einheit der Tatsachenrepräsentation ein, die keinen Raum mehr lassen soll für den Zweifel.

Zu den Seltsamkeiten dieses Befundes aber zählt auch, daß wir im Grunde von diesen Mechanismen wissen, die berechtigten Fragen an solche Bild-Wort-Einheiten der Nachrichtenwelt eigentlich kennen und daß es dennoch immer wieder der Kunst und der Künstler bedarf, die diese Strukturen mit ihren Fragen und einer den Gewohnheiten zuwiderlaufenden Formensprache neu ins Bewußtsein rufen. Auch Peter Anders’ Arbeiten kreisen um diesen Zwiespalt der Bilder und der Worte: Um die Realität dies- und jenseits des Abgebildeten, um die imaginären und die medialen Bilder, um die Bildfelder von Worten und den Wortreichtum von Bildern und – um die Malerei.

 

einschließen

Die Serie der sogenannten Kammerbilder ist ein Projekt von Peter Anders, das er mit strenger formaler Konsequenz und poetischer Subversion bereits seit 1998 in wechselnder Intensität verfolgt. Mit präzisem Blick für die Vielschichtigkeit des scheinbar Banalen und der Sensation isoliert er dabei aus dem steten Fluß der täglichen Zeitungs- und TV-Bilder einzelne Aufnahmen, um sie mit malerischen Mitteln auf ihre Bezüge zur äußeren und inneren Welt, auf ihre Verflechtungen innerhalb eines komplexen Rezeptionskontexts zu befragen.

Diese Bilder hinter oder besser in Wachs sind allesamt Medienbilder, das heißt gebrauchte, abgenutzte Bilder, die in irgendeiner Zeitung, auf irgendeinem Fernsehkanal an einem ganz bestimmten Tag einen klar zu fassenden Nachrichtenwert besaßen. Und so ist ihre Lebensdauer denn – falls sie nicht der Kamera eines berühmten Fotografen entstammen oder die seltene Karriere eines historischen Augenblicks machen – äußerst kurz: Im Regelfall versinken sie mit der gestrigen Zeitung in Bedeutungslosigkeit und Vergessenheit. Anders seziert diese gefunde­nen Bilder fast im wörtlichen Sinne: Über eine klassische fototechnische Verhärtung, die er vom Computer berechnen läßt, zerlegt er sie in bis zu zehn verschiedene Tonwertstufen, die er anschließend einzeln zwischen dünne Wachsschichten sperrt. Auf den Grund einer Sperrholztafel werden (zumeist in Acrylfarben) die Tiefen des Bildes gemalt, über die die erste Wachsschicht gegossen und mit Rakeln geglättet wird. Anschließend folgt mit Ölfarben die nächste (farbig oder schwarzweiß gemalte) Bildebene und eine weitere dünne Wachsschicht, bis schließlich von der obersten und abschließend polierten Wachslage die hellsten Werte des Bildes, die Höhungen, bedeckt werden.

Diese Methode entrückt das Bild auf eigentümliche Weise dem Auge. Es ist eine Art Verschleierung des Blicks, die trüben, zumeist leicht farbig pigmentierten Wachsschichten durchziehen das zerlegte Bild mit einem feinen Nebel, der sich zwischen die einzelnen Ebenen geschoben zu haben scheint. Je näher man den Arbeiten kommt, desto stärker entziehen sie sich dem klaren Erkennen, und erst im Zurücktreten findet das aufgeschichtete Motiv wieder zu einer stärkeren optischen Einheit. Anders nimmt auf diese Weise dem berichterstatterischen Foto seine argumentative Schärfe, seine Unfehlbarkeitsbehauptung und schiebt mit jeder Wachsschicht eine neue Unbestimmtheitszone in das Bild. So öffnet sich plötzlich die so rational und objektiv erscheinende Oberfläche des Dokumentarischen und enthüllt dessen eigentlich bewegenden Kern der Projektionen, Phantasien und Emotionalisierung. Was Anders in dieser Pointierung der medialen Vermittlungsstrategien betreibt, ist sowohl eine Remystifizierung des fotografischen Bildes wie auch eine bohrende Befragung des gesellschaftlichen Dokuments – es wird zugleich konserviert und enttarnt, entrückt und bloßgestellt.

Diese Strategie wird noch verschärft durch die sorgfältige Betitelung der Arbeiten, die in der bewährten Tradition der Bildunterschrift das Sichtbare mit der Textinformation kombiniert. Allerdings öffnen seine Titel neue Assoziationsräume, die den Betrachter endgültig in die Ambivalenz des Uneindeutigen stürzen: »Fariah, fariah, ho« (2000) nennt Anders das Bild eines schwer beladenen, von einem Traktor gezogenen Wagens mit den letzten Habseligkeiten einiger flüchtender Kosovo-Albaner. »Lustig ist das Zigeunerleben« tönt dazu unüberhörbar das Echo der Kindheitserinnerungen im Kopf, und man fühlt sich heillos verloren zwischen der romantischen Sehnsucht nach der vermeintlichen Idylle fahrender Leute, dem leicht sentimentalen trüben Grün einer dem Bild angelehnten monochromen Wachstafel und dem Wissen um die dramatischen Ereignisse des Genozids auf dem Balkan.

Diese Kammerbilder ziehen den Betrachter mit verlockenden Klängen und auf verwirrenden Fährten tief in die von Irrlichtern, Nebeln und Morastlöchern durchzogenen Sümpfe unseres Bildgedächtnisses. »Eine Ruine mehr« (2001) liegt die Fotografie der ausgebrannten Nationalbibliothek von Sarajewo zugrunde, erinnert aber mindestens ebenso stark an die romantische Ruine eines mittelalterlichen Klosters und lockt mit einer assoziierten tiefblauen Wachstafel in die geheimnisvolle Dunkelheit der Nacht, während der Titel mit der Anspielung auf Arnold Böcklins »Ruine am Meer« (1880) den Gesamteindruck in ein grundsätzliches Memento mori überführt. Und auch »Asche zu Asche« (2002) birgt diese manchmal nur schwer zu ertragenden Ambivalenzen: Zu sehen ist eine karge, von zum Teil überblendendem Weiß geprägte Parklandschaft mit Büschen, einzelnen kahlen Bäumen und unzähligen weißen Papierseiten, als sähe man auf den Rand einer Müllkippe oder die erbärmlichen Slums von Megastädten wie São Paolo. Und während man sich mit Blick auf den Titel noch in den vielfältigen Assoziationen von christlichen Begräbniszeremonien bis hin zu David Bowies »Ashes to Ashes« verstrickt, trifft die Information, daß es sich hier um ein Zeitungsfoto von den überwältigenden Aschebergen in den Seitenstraßen rund um das eingestürzte World Trade Center handelt, wie ein Schlag ins Gesicht.

Indem Peter Anders einzelne Bilder isoliert, bisweilen gar ein Motiv innerhalb eines gefundenen Bildes herausgreift, indem er Foto und Nachricht voneinander abtrennt und das Bild für sich oder mit einem neuen Titel sprechen läßt, verschiebt er das semantische Feld der Abbildung. Das, was im Nachrichtenkontext der Zeitung so eindeutig und klar schien, enthüllt seine Ambivalenz und stürzt den Betrachter in die Weiten des Zweifels: Wieviel Projektion liegt in einem »Dokumentations«-Foto, wieviel Interpretationsspielraum und Uneindeutigkeit entsteht zwischen einem Bild und seinem Titel, was findet sich vom Abgebildeten tatsächlich im Abbild wieder? Und vor allem: Ist das, was der Ausschnitt, der Begleittext aus einem Bild macht oder machen kann, eine von außen herangetragene Verfäl­schung oder doch verborgener Teil des Dokumentierten selbst? Fördern also die frei schwebenden Sinnbezüge zwischen Bild und Text, zwischen Ausschnitt und Totale, zwischen Information und Interpretation, zwischen Sichtbarem und Projiziertem gar eine Realität der Darstellung zutage, die sonst gegebenenfalls unentdeckt geblieben wäre?

 

verspannen

Für die Ausstellung in der Städtischen Galerie Nordhorn hat Peter Anders die Serie der Medienbilder um eine markante Gruppe kleinerer Formate erweitert. Ausgangspunkt seiner Arbeit waren wiederum Zeitungsfotos, die diesmal jedoch allesamt dem Lokalteil der örtlichen »Grafschafter Nachrichten« entstammen, und zwar genau jenen Ausgaben, die dem Ereignisdatum der bereits vorhandenen Kammerbilder entsprechen.

Auf diese Weise entstand für Nordhorn eine Art »Bilderkammer«, ein eher gedanklich als architektonisch geschlossener Raum, der sich zwischen den beiden Gemäldegruppen entwickelt. Ensprechend seiner Arbeitsweise beläßt Anders die Bezüge der Bilder untereinander erst einmal im Ungewissen, so daß der Betrachter sich selbst auf Spurensuche nach dem begeben muß, was man erst auf den zweiten Blick erkennt. Jede der 2002 entstandenen Nordhorner Wachstafeln besitzt ein Pendant unter den früheren Bildern des Weltgeschehens, mit dem sie quer durch den Ausstellungsraum eine imaginäre Ereignislinie verbindet. Die Arbeiten sind eher Gegenüber- als Nebeneinanderstellungen, Bildpaare die einen Freiraum lassen, in dem sich der Besucher physisch wie psychisch bewegen und orientieren kann. Und so finden die Korrespondenzen erst langsam zueinander, wenn man vom Ruinenbild der einst im neomaurischen Stil errichteten Nationalbibliothek über den assoziationsreichen Untertitel zum sachlich schlichten Datumstitel des lokal bezogenen Bildes aus dem Osnabrücker Zoo gelangt. Auf stille, unaufgeregte Weise berichten sie von der Parallelität der Ereignisse, über das unspektakuläre Nebeneinander von Sensation, Katastrophe und Alltagsereignissen: Während die Titelseiten der Tageszeitungen das erfolgreiche Zünden eines Atombombenversuchs in Pakistan melden, berichten die Lokalseiten von der Freizeitrallye in Uelsen, während in den Straßen von Rossa die ETA ihre Bombenattentate wieder aufnimmt, veranstaltet die Nordhorner Feuerwehr erfolgreich ihr turnusmäßiges Fahrsicherheitstraining, und während in New York die ersten Bilder vom Flugzeugaufprall auf das World Trade Center gemacht werden, findet sich in der morgendlichen Zeitung noch das Foto einer spektakulären Flugschau bei Rheine.

Peter Anders ist mit dieser visuellen Parallelisierung der Ereignisse, mit dem pointierten Zusammenführen gleichzeitiger Nachrichten aus dem globalisierten Informationspool der Agenturen weit von einem Ausspielen des »Provinzlebens« gegen das Weltgeschehen entfernt. Vielmehr betreibt er mit klassischen malerischen Mitteln die Visualisierung einer erst in ihrer Zuspitzung makabren Gleichzeitigkeit der Welt. Trotz höchster Übermittlungsgeschwindigkeiten und breiter Medienkompetenz nimmt das Schicksal noch immer keine Rücksicht auf die Dramaturgie des Zusammenfalls von Ereignissen. Die Installation der Kammerbilder-Paare ist das zugleich kluge wie beklemmende Sichtbarwerden eines oftmals gedankenlos dahergesagten »Das Leben geht weiter«. Gegen die große Betroffenheitsmaschinerie und die trügerische Suggestion der allumfassenden Information aus den entlegensten Teilen der Welt setzt Anders die Lokalnachricht, deren künstlerischer Aufarbeitung er die gleiche Sorgfalt, die gleiche Wertschätzung entgegenbringt.

Die mehrfach geschichteten und sorgfältig in Wachs versiegelten Gemälde rücken dabei ihr Motiv in eine ungreifbar erscheinende Ferne. Das Originalmotiv durchläuft über das Foto, den Zeitungsabdruck, das erneute Einscannen und das elektronische Aufspalten einen kontinuierlichen Auflösungsprozeß, an dessen Ende die geradezu romantische Bergung des Bildes im manuellen Prozeß des Malens und Eingießens das Dargestellte nur noch weiter entrückt. In der dunstigen, gedeckten Farbigkeit seiner Gemälde steigert Peter Anders die suggestive Macht der medialen Berichterstattungsschlachten bis zum schmerzlichen Bewußtwerden und durchzieht zugleich die Bilder mit einer konzentrierten Ruhe für den scharfen Blick.

Es ist ein seltsames Zusammentreffen – da wird den schnellen Bildern des Tagesgeschehens mit zeitraubender malerischer Sorgfalt eine ausgeprägte Langsamkeit entgegengesetzt, während mit dem Einschluß des Motivs in die alterungsresistenten Wachsschichten die Flüchtigkeit der Momentaufnahme in Konfrontation mit einem Ewigkeitsgedanken tritt. Mutet die Aufschichtung des Bildes in eine räumliche Dimension wie die endgültige Ruhigstellung des Dargestellten an, so tragen die Materialeigenschaften des Wachses mit seinen nah beieinanderliegenden Aggregatzuständen zwischen flüssig, weich und ausgehärtet den Aspekt des Veränderlichen, in Bewegung bleibenden zurück in die Bilder. Das Wachs hindert die Farben am Aufleuchten, aber es schützt sie auch vor ihrem Verschwinden, es bleibt selbst in gehärtetem Zustand verletzlich und fragil und damit offen für das weitere Einschreiben der Geschehnisse in seine Oberfläche. Nicht erst bei Anders wird die wächserne Bildtafel faktisch wie symbolisch zum Träger von Erinnerungen und Geschichte, zur Metapher für das Gedächtnis.

 

aufbrechen

Transportieren die Kammerbilder den Gedanken der Intimität, des direkten Gegenübertretens von Werk und Betrachter vor allem in ihrer Werkgruppenbezeichnung und den imaginären räumlichen Verspannungen, so thematisiert die Installation »Zu schön, um wahr zu sein« (1998– 2001) den eng begrenzten Raum des Privaten auch formal. Peter Anders hat für die drei Großformate eine einfache Wandkonstellation entwickelt, die trotz großer Einblicke und Durchgänge das Gefühl eines geschlossenen Kabinetts vermittelt. Zu sehen sind auf drei Wänden je eine in die Ebene projizierte Neststruktur in wechselnder Farbigkeit, während an der vierten, innen leer bleibenden Wand von außen sieben extrem hochformatige Leinwände mit gemalten Arbeitswerkzeugen lehnen (eine Baumsäge, ein Astzange, ein Apfelpflücker, ein Nistkasten, eine Aststütze, eine Leiter und ein langer Stecken).Auffällig ist die Scherenschnitthaftigkeit aller zehn Gemälde, ein Eindruck, der sich bei näherem Hinsehen noch dadurch verstärkt, daß man tatsächlich erkennen kann, wie das Dargestellte aus einer darüberliegenden Schicht herausgeschnitten wurde. Man entdeckt die verschiedenen Farbaufträge, aus denen sich sowohl das Motiv wie der Grund zusammensetzen, und ihre matte Sättigung verweist ein weiteres Mal auf das wichtigste Arbeitsmaterial von Peter Anders: In Anlehnung an die traditionelle Technik der Enkaustik hat er diese Bilder mit pigmentiertem Wachs Schicht für Schicht mit Pinsel und Spachtel aufgebaut und so der ausgeprägten Flächigkeit eine äußerst lebendige, geradezu nervöse Binnenzeichnung verliehen.Im Unterschied zu den Medienbilder gehen die Nester nicht von einer vermittelten Wirklichkeit, sondern tatsächlich vom realen Gegenstand aus, d. h. von drei verschiedenen, in der Natur vorgefundenen Vogelnestern (einer Amsel, einer Elster und eines kleineren Singvogels). Peter Anders überzog seine Leinwände zuerst mit mehreren dünnen Wachsschichten, bis die gewünschte, leicht schrundige Farbigkeit für das jeweilige Motiv entstand. Dann überzog er diese Grundierung mit einer Folie, auf die er ein von der komplexen Struktur der verflochtenen Zweige abgenommenes Fotogramm übertrug. Anschließend wurden die Umrisse des Nestes in aufwendiger Kleinarbeit exakt mit dem Skalpell ausgeschnitten, bevor dann die in der Bildlogik als Hintergrund erscheinende, tatsächlich jedoch darüber liegende Farbe wiederum in mehreren Schichten von dunkel nach hell aufgebaut wurde.Zwischen Gegenstand und Abbild liegen bei diesem Verfahren also nicht mehr die vermittelnden Instanzen von Kameraobjektiv, Fotoscanner und Druckmaschine, sondern die natürlichen Formen schreiben ihre Spuren direkt in die Bildoberfläche, in das Gedächtnis des Wachses. Während in den Kammerbildern das längst verflachte Zeitungsbild buchstäblich aufgebrochen und in eine räumliche Struktur überführt wird, während das Abbild also im Wachs liegt, werden die realen, dreidimensionalen Nester über das Fotogramm in die Ebene projiziert und zeichnen ihr Abbild in dessen Oberfläche. Konstruieren die Kammerbilder mit ihren inhaltlichen Querbezügen und Ambivalenzen die Intimität eines imaginären, von Gedanken- und Ereignislinien definierten Erfahrungsraumes, so präsentieren sich die Nester innerhalb eines realen, streng geometrischen architektonischen Raumes, dessen Geschlossenheit direkt körperlich erfahrbar wird.Diese den Raum zwischen Privatheit und Öffentlichkeit befragende Dialektik aber ist bei Peter Anders keine rein formale Aufgabenstellung, keine inszenatorische Polarisierung seiner Bilder, sondern vielmehr der Versuch, diese ganz unterschiedlichen Räume auf ihren Realitätsgehalt, auf ihre Lokalisierung zwischen Schein und Sein zu befragen. Das Nest als der Inbegriff des Schutz- und Rückzugsraums erfährt in dieser bildlichen Repräsentation auch etwas Bedrohliches. Nicht nur redensartige Assoziationen (z. B. »Nestbeschmutzer«) relativieren den ersten Eindruck der Geborgenheit, sondern auch die ins Übergroße aufgeblasene Kleinteiligkeit der Strukturen, in denen man sich verlieren und verfangen kann. Während in den Kammerbildern der öffentliche Raum im kleinformatigen Bild ruhiggestellt, scheinbar befriedet wird, erfährt der Privatraum in den wie unter einer Lupe vergrößerten Vogelnestern unerwartet eine verstörende Unsicherheit.So erscheinen die sieben an der Außenwand dieser Raum-im-Raum-Konstruktion angelehnten Gerätebilder nahezu wie der Ausblick auf eine Synthese. Auch hier war der Ausgangspunkt für die Malerei ein Foto, ein Bild von einem alten, noch bewirtschafteten Bauernhof in Nördlingen, der Heimatstadt von Peter Anders. Dort finden sich noch in alter Tradition die vor allem für die Baumpflege benötigten großen Gerätschaften (die »Langware«, wie Anders es leicht ironisch beschreibt) sorgsam angelehnt an einen geeigneten Zweig eines Obstbaumes. Gemalt wurden die Gegenstände dann jedoch weder verkleinert noch vergrößert, weder als Foto noch als Fotogramm, sondern exakt in Originalgröße und direkt vom Objekt nach einer Umrißzeichnung auf der Leinwand. So erhalten die Werkzeuge trotz ihrer kühlen, sachlichen Malweise eine fast pathetische Klammerfunktion für die Ausstellung: In ihnen liegt der Imperativ zur Pflege der privaten wie der öffentlichen Räume, zur aufmerksamen, verantwortungsvollen Bearbeitung der Wirklichkeit und ihrer Abbilder, zur Ordnung und Unterstützung innerhalb der Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten.

 

ausblicken

Den Schlußakzent dieser Installation und zugleich auch der Ausstellung bildet ein einfaches, unprätentiöses Video, das als Teil von »Zu schön, um wahr zu sein« ohne besondere Verdunklung auf eine Milchglasscheibe projiziert wird und das in seiner Vieldeutigkeit auch wie die Zusammenfassung der Bilduntersuchungen von Peter Anders gelesen werden kann. Zu sehen ist eine große, wabernde Seifenblase, die vor einem blaugrauen Wolkenhimmel dahinfliegt. In ihrer transparenten Oberfläche spiegelt sich die Welt, verzaubert von der lichten Leichtigkeit dieses Bildträgers, beweglich und fließend in ihren Reflexionen, unbestimmt und bisweilen mehr erahnt als erkannt. Jedes Mal, wenn der Moment des Zerplatzens dieser Seifenblase gekommen zu sein scheint, kehrt sie in ihrer Bewegung um und verlängert so ihr eigentlich flüchtiges Dasein ins Unendliche. Peter Anders findet in der ewigen Seifenblase ein ebenso poetisches wie präzises Abschlußbild für seine Reflexionen über die Wahrheit der Bilder. Doch auch hier bleibt die Ambivalenz: Ist es die unaufhörliche, nie endende Spiegelung der Banalität des Alltäglichen, eines kalten Realitätsprinzips oder der in die Dauer gezwungene Zauber des Vorübergehenden, des kleinen Wunders von Spiegelung und Fragilität.Denn die Seifenblase als Konvexspiegel der Welt ist zugleich real und wahr wie auch Täuschung und Illusion. In ihr spiegelt sich das Universum, und doch enthält sie nur die Luft für wenige Atemzüge. So spannt sich der Bogen von der Nachricht über das Belegfoto, die transportierten Emotionen und Phantasien, den Ausschnitt und das künstlerische Bild bis hin zur Illusion und Utopie; ein Versuch über die Unvereinbarkeiten der Welt, ihren Schrecken und ihre Schönheit, ihr Zusammenschrumpfen in der Globalisierung und Wuchern in den verteidigten Privaträumen, über die Gleichzeitigkeit und die Unvereinbarkeiten, über ihr Bild und ihr Abbild. Ein ambitioniertes Anliegen, formuliert mit kleinen Gesten …, mit Uneindeutigkeiten. Wer also glaubt noch den Bildern – und was?