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Malerei

Installation

Zu schön, um wahr zu sein
Daimonion
Blick
Bergpark
Ökonomie d. Beqemlichkeit
Honigtanker


Zeichnungen

Multiples


Installation: DAIMONION, 2003, Staatliche Museen Kassel / Neue Galerie

.... Genau diese Rückbesinnung auf sich selbst wird in dem Moment vergegenwärtigt, wenn der Besucher beim Blick in die leere Vitrine allein sein eigenes Abbild in den Scheiben widergespiegelt vorfindet.

 

Aber blicken wir zunächst von diesem erhöhten Standpunkt aus auf den Ausstellungsraum hinunter, auf dessen Fußboden ein Scherbenfeld ausgebreitet und über dessen gesamte hintere Ausstellungswand eine großformatige Landschaftsfotografie gespannt ist.

 

Fragmente einer Menschheitsgeschichte, nach dem Muster eines Parallelogramms in ordentlicher Manier angeordnet, liegen vor einem zu Füßen: Überreste von Geschirr, gerostetes Silberbesteck, ein Tellerstapel, Schlüssel, Glasflacons, Flaschen, Tassen, Eisenringe, Bilderrahmen, Türgriffe, ein Rad, eine Schere, ein Damenschuh und dazwischen immer wieder kleinere Porzellanscherbe liegen dicht an dicht, aber gerade noch mit einem solchen Abstand voneinander entfernt, dass jedem einzelnen Teil eine gewisse Aufmerksamkeit zugute kommt. So sind selbst Aufdrucke wie „Kasseler Bahnhofsgaststätte“ auf Tellerscherben oder Namen von Kasseler Brauereien  auf Verschlüssen von Bierflaschen zu entziffern.

 

Teilweise bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, zu Klumpen verschmolzen und deformiert, fügen sich die Gegenstände zu einem eindringlichen Gesamtbild zusammen, das die vorausgegangene  Katastrophe auf dem Boden der Tatsachen spürbar werden lässt. Die Annäherung an die Bruchstücke geschieht vorsichtig, möchte man sie nicht noch weiteren Erschütterungen auszusetzen. Der ersten Motivation zugeneigt, sich hinunter zu beugen und einzelne Teile herauszunehmen, um sie genauer zu betrachten, verwehrt man sich sofort wieder, hat doch jedes Einzelelement seinen zugeschriebenen Platz in der Gesamtordnung. Und auch ein Dazwischengehen ist keine Möglichkeit, die Peter Anders für den Besucher vorgesehen hat. Der Betrachter bleibt verhaftet in der Aktion des eher distanzierten Draufschauens. Nur drei Seiten des Parallelogramms sind für ein Entlanggehen gedacht, die vierte ist von der Wand vorgegeben. An dieser Stelle setzt sich das Scherbenbild ins Ungewisse fort, dadurch dass Einzelteile unter die Wand reichen, die einen Spalt zum Boden offen lässt. Auf diese Weise ist seine Ausdehnung ins Unendliche denkbar und gibt zu verstehen, dass die Lage des Kellerraumes der Ebene entspricht, auf der die Scherben zuvor über Jahrzehnte im Verborgenen lagen und dies andernorts weiterhin der Fall ist.

 

Zunächst kaum bemerkbar, stehen in der linken hinteren Raumecke, gegenüber der Schmalseite der Scherbenanordnung drei Monitore auf dem Boden, auf denen Filmaufnahmen des Himmels zu sehen sind. Minimale Bewegungen sind darauf erkennbar: Rötliche Abendwolken ziehen vorbei, Flugzeuge, die miniaturenartig gerade noch zu erkennen sind, schneiden weiße Kondensstreifen durch das Blau des Himmels. Es ist eine friedliche, ereignislose Szenerie, die sich dort in den Höhen abspielt, gleichzeitig kann man sich durch die direkte Gegenüberstellung dieser Himmelsaufnahmen mit den ausgegrabenen Trümmern der assoziativen Präsenz der alles zerstörenden Luftangriffe über Kassel vor 60 Jahren nicht verwehren.

 

Beherrscht wird der Ausstellungsraum von der anmutigen Schönheit der hügeligen, kargen Landschaft, die sich auf der Fotografie bis in den Horizont hinein ausdehnt und von Sonnenstrahlen stellenweise durchflutet ist. Die Aufnahme geschah unmittelbar nach einem Gewitter, in dem Moment, wo der bewölkte Himmel für erste Sonnenstrahlen wieder durchlässig wird und die Luft Frische und Reinheit verströmt. Es ist schwer auszumachen, wo sich diese zunächst abgeschieden wirkende Landschaft geografisch einordnen ließe. Beim näheren Herantreten nimmt man  Fahrspuren wahr, die sich vom Hügel bis in den Graben in der Mitte der Fotografie hinunterschlängeln und verletzende Spuren im Boden hinterlassen. Die ausgestellten Fundstücke scheinen diesem Ort zu entstammen, wäre da nicht die Planierraupe, die statt auf eine Ausgrabung auf eine Einebnung und Zuschüttung verweist. Sämtliche Trümmer wurden vielmehr aus einem zerstörten Stadtbereich in Kassel aus dem Boden geholt, damit an der Stelle ein Wiederaufbau erfolgen kann und sogleich zum Auffüllen der Sandgrube des Kasseler Umlandes nutzbar gemacht. Ein geschlossener Kreislauf: Die kurz an die Luft geholten geschichtlichen Überreste dienen dazu, die tief eingeschnittenen Wunden – ebenfalls von Menschenhand verursacht – zu schließen, um fortan von der Natur und Zeit überlagert zu werden und in tiefere Erdschichten bzw. in die erneute Verborgenheit hinabzusinken. 

Die Vorstellung von Höhen und Tiefen sind kontrastierende Merkmale, die in der Gesamtinszenierung der Ausstellung auf unterschiedliche Weise in Erscheinung treten. So verwendet Peter Anders die Räumlichkeiten nicht als bloße neutrale Hülle, sondern sie werden aktiv zum installativen Zusammenspiel der verschiedenen Arbeiten eingesetzt. Zum einen sind es die topographischen Lagen, die ein Auf und Ab, gleich einer Wellenbewegung, beschreiben: der erhöhte Standpunkt von dem aus zunächst die Installation überblickt wird; der tiefe Standort des Kellerraumes im Gegensatz zum Ausblick auf die Himmelshöhen; die hohe, machtvolle Position, von der heraus viele machtlose Menschheitsschicksale getroffen wurden; die tiefe Grube mit den umgebenden Hügeln innerhalb der Landschaftsfotografie.

Hinzu kommt die Gesamtlage des Kellerraumes innerhalb des Museumskomplexes, der in seinen oberen Stockwerken die Sammlung mit Schwerpunkt auf der Malerei des 19. Jahrhunderts beherbergt. Anders zieht bewusst die Verbindung zu Werken der Romantik als Element der geschichtlichen Auseinandersetzung mit ein. Die Benennung und Sichtbarmachung von Höhen und Tiefen erfährt nicht zuletzt unter dieser Betrachtung eine ideologisch-politische Erweiterung, stellt doch die Rezeption der Romantik in der Zeit des Nationalsozialismus ein brisantes, noch immer weitgehend unaufgearbeitetes Kapitel deutscher Kulturgeschichte dar. Zwischen instrumentalisierender Integration in den Traditionskanon des Dritten Reiches, zwischen Verklärung zum Höhepunkt der „Deutschen Bewegung“ existierte ein breites Spektrum von problematischen Aneignungsformen und Widersprüchlichkeiten. Die Erhöhung und Verklärung von romantischen Begriffen und Denkfiguren spielten eine entscheidende Rolle in den Bemühungen verschiedener ideologieproduzierender Institutionen des Dritten Reichs. Deutet schon die leere Museumsvitrine eingangs der Ausstellung auf den oftmals fragwürdigen musealen und staubfrei gehaltenen Umgang mit Geschichte hin, stellt Anders durch diesen weiteren Bezug die Problematik der Aneignung romantischen Ideengutes erneut zur Disposition: die als Schutt und Trümmer zu erachtenden Überreste einer von Einzelschicksalen erzählenden Menschheitsgeschichte bekommen hier einen Stellenwert, der den als kulturell geringwertig eingestuften Anschauungsobjekten normalerweise nicht zuteil wird.

Peter Anders macht sich eine aufgeplatzte Oberfläche innerhalb der in die Tiefe des Bewusstseins eingegrabenen Geschichtsschreibung zunutze, um eine vielerorts unentdeckt gebliebene Realitätsebene aufzudecken. Er zeigt die Stellen auf, an denen Geschichte oder ihre Fragmente begründet liegen, ebenso die Positionen, aus denen heraus Geschichte und Politik geführt wird. Für einen Moment scheint die große Distanz, die zwischen beiden Orten liegt, auf gleicher Ebene zusammen gebracht zu sein.

Anders eröffnet einen Raum, in dem der zusehends in Vergessenheit geratene, missfällige Teil von Geschichte wertvolle Präsenz erhält und in seiner Vielschichtigkeit spürbar ist.

 

Nikola Dietrich